Melissa King - Choreografie ][ Regie

Hair

Gärtnerplatz Theater, München [2016]

2016 Ausgezeichnet mit dem AZ-Stern der Woche und der tz-Rose der Woche
Landei Claude kommt in die Stadt, um dem Ruf zur Armee Folge zu leisten. Hier trifft er auf den »Tribe« um Anführer Berger, Afroamerikaner Hud, Dealer Woof, Studentin Sheila und Umweltaktivistin Jeannie, die alle versuchen, ihn vom Ableisten des unsinnigen Militärdienstes abzuhalten und von der Schönheit des Lebens in den Sphären der friedlichen Blumenkinder-Ideale zu überzeugen. Doch hat Claude die Kraft, sich den Ansprüchen der etablierten Gesellschaft zu widersetzen?

Media

  • Buch / Texte Gerome Ragni / James Rado
  • Musik Galt MacDermot
  • Originalproduktion Michael Butler

Kreativteam

  • Jeff Frohner [Musikalische Leitung]
  • Gil Mehmert [Regie]
  • Melissa King [Choreografie]
  • Jens Kilian [Bühne]
  • Dagmar Morell [Kostüme]
  • Michael Heidinger [Licht]
  • Meike Ebert / Raphael Kurig [Video]
  • Michael Otto [Dramaturgie]

Darsteller

  • Dominik Hees
  • David Jakobs
  • Bettina Mönch
  • Victor Hugo Barreto
  • Lars Schmidt
  • Christina Patten
  • Dionne Wudu
  • Ruth Fuchs
  • Frank Berg
  • Dagmar Hellberg
  • et al.

Termine

  • 25.02.2016
  • 27.02.2016
  • 28.02.2016
  • 29.02.2016
  • 01.03.2016
  • 05.03.2016
  • 06.03.2016
  • 10.03.2016
  • 11.03.2016
  • 12.03.2016
  • 13.03.2016
  • 14.03.2016
  • 15.03.2016
  • 17.03.2016
  • 25.02.2017
  • 27.02.2017
  • 28.022017
  • 29.02.2017
  • 05.03.2017
  • 06.03.2017
  • 10.03.2017
  • 11.03.2017
  • 12.03.2017
  • 13.03.2017
  • 14.03.2017
  • 15.03.2017
  • 17.03.2017

Presse

HAIR – München

“When the Moon is in the Seventh House and Jupiter aligns with Mars. Then Peace will guide the Planets and Love will steer the stars.
This is the Dawning of the Age of Aquarius...”

Melissa Kings Choreographie hält das ganze Stück als Klammer zusammen, was das Ensemble hier tänzerisch leistet, ist aller Ehren wert. Vor allem im noch vermeintlich heiteren und unbeschwerten ersten Akt wirbeln die Akteure zu den großen Nummern wie Donna, Hair und Hare Krishna völlig entfesselt und so mitreißend herum, dass man am liebsten aufstehen und mitmachen möchte.

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(musical-reviews.de)

Haarige Sensation – Lebendige Geschichte in München

Statiker müssen wohl die Münchner Reithalle prüfen, denn da beulten die Seitenwände aus und das Dach hob sich – so toste der Jubelsturm am Ende los… Die „Hair“-Produktion des Münchner Gärtnerplatztheaters wird zum umtobten Erfolg mit bedenkenswerten Zügen. Wolf-Dieter Peter war beeindruckt.

Melissa King hat das staunenswert differenzierte Ensemble zu einer fulminanten Ganz-Körper-Choreografie animiert, die Hochleistungs- power verströmt.

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Haarige Sensation – Lebendige Geschichte in München

(nmz) -Statiker müssen wohl die Münchner Reithalle prüfen, denn da beulten die Seitenwände aus und das Dach hob sich – so toste der Jubelsturm am Ende los… Die „Hair“-Produktion des Münchner Gärtnerplatztheaters wird zum umtobten Erfolg mit bedenkenswerten Zügen. Wolf-Dieter Peter war beeindruckt.26.02.2016 – Von Wolf-Dieter Peter

 

Als wären eben „Walküre 1.Akt“ und das „Meistersinger“-Finale aufeinandergetürmt worden, jubelte das Premierenpublikum, erhob sich nach wenigen Sekunden geschlossen zur „standing ovation“ über zwei Zugaben hinweg, feierte in der hübschesten Applausordnung der letzten Jahre ein 26-köpfiges Ensemble, dessen Power schon nach der ersten Minute in Bann geschlagen hatte – und ließ sich überrascht und animiert von den Darstellern auf die Spielfläche ziehen, um noch ein wenig mit zu grooven und zu tanzen. Der Elan der 68er-Alternativen wogte durch den Raum und macht den Theaterbesuch im Londoner Westend überflüssig…

Das war im Oktober 1968, bei der europäischen und deutschen Erstaufführung im Münchner Theater an der Brienner Straße (dem heutigen Noch-Volkstheater) ganz anders: Fackelträger in Livree am Eingang, Münchens Bussi-Schickeria, dann die vorweg skandalisierte Nackt-Szene, Einschreiten des Ordnungsamtes: Streichung von „Unanständigem“, Verbot von Szenen, weil „unzüchtig“ oder „laufen den Sitten zuwider“ – und dann erst weitere Aufführungen.

„Hair“ hat schon damals mit seiner gezielten Anti-Dramaturgie die als heutige Innovation gehypte „Postdramaturgie“ und „Dekonstruktion“ locker vorgeführt. Doch was 1968 ff. ein ostentatives Theater-Happening, das provokante „Sich-Selber-Spielen“ einer Aufbruchsgeneration war, würde heute anachronistisch wirken. Deshalb ist dem Bearbeiter-Regisseur Gil Mehmert das große Kompliment zu machen, dass er ohne Nostalgie zu einer Zeitreise einlädt: Zwei ältere Herrschaften lugen hinter der Sackleinwand des Podiums hervor, rufen nach ihren Kindern von Einst und erleben ein – von Mehmert durch kleine Brückentexte überzeugend gebautes – clip-artiges Stationen-Drama eines „Hippie-Tribes“ (Extra-Bravo für Anführer „Burger“ von Dominik Hees). Hasch-durchwaberte Freiheitsutopie („I got love“), miefig erstarrtes Middleclass-Establishment, polysexuelle Experimente, Flower-Power-Träume, schwarze Bürgerrechtsbewegung gegen Ku-Klux-Klan, esoterische Ausstiegsideale, Motown-Music samt „Supremes“ – und durchweg die Vietnam-Blutorgie der Johnson-Kissinger-Nixon-Politmafia („Easy to be cruel“) – all das lässt Mehmert als rasanten szenischen Rausch in Dagmar Morells fabulösem Kostüm-Plunder heranfluten.

Melissa King hat das staunenswert differenzierte Ensemble zu einer fulminanten Ganz-Körper-Choreographie animiert, die Hochleistungspower verströmt – bis hin zum  „Be-turn-tanzen“ der zwei beweglichen Woodstock-Lichttürme von Meister-Bühnenbildner Jens Kilian. Der lässt unter dem Podium zauberhaft Haschfelder herausfahren und wachsen, durch die das traumhafte Girlie Sheila (hinreißend Bettina Mönch) auf einem unechten Pegasus reitet. Zum Einberufungsbefehl für den Zweifler Claude (Extra-Bravo für das Energie-Paket David Jacobs) verhüllt eine US-Fahne Podium und Band, während Jimi Hendrix als Schattenriss seine legendäre Woodstock-Neudeutung der US-Hymne dröhnt. Doch das Donnern von Vietnam-Hubschraubern übertönt alles und das im Jeep hereinrauschende Establishment im Look von Liz Taylor, Jackie Kennedy, Andy Warhol verfrachtet letztlich Claude nach Vietnam, wo er fällt.

In diese Entzauberung des „American Dream“ hat Mehmert eine ironische Bürgerkriegsparallele mit „Scarlett & Ashley“ aus „Vom Winde verweht“ eingebaut und lässt Abe Lincoln durch Szene staksen. Ganz stark die Skandal-Szene: Hinter dem Protest-Spruchband „NOT ONE MORE DEAD!“ ziehen sich die Hippies nackt aus und stehen so „schutzlos bloß“ der aufmarschierenden Polizei mit ihren Plastikschilden samt Knüppeln gegenüber – für den mitdenkenden Zuschauer war da die Situation aller Unangepassten und Andersdenkenden weltweit über den Nahen Osten, die Türkei bis ins nahe Ungarn oder Polen visualisiert. Dazu lieferte Dirigent Jeff Frohner in ironischer „Master“-Uniform am Keyboard mit einer neunköpfigen Band einen fetzig wummernden Sound. Doch über das betörend feine Posaunen-Solo von Ulrich Käthner hinaus gelangen auch die leisen Nummern wie „Where do I go“, Sheilas „I believe in love“ oder der sanfte Beginn von „Good Morning Starshine“.

Dieser über „A dying Nation“ hinausführende Zug gipfelte in einer theatralisch unvergesslichen Szene: Das Ensemble ließ als Vietnam-Tote alle Stahlhelme mit Claudes aufgepflanztem Gewehr samt Helm in der Mitte zurück – und in einem der stupend schnellen Kostümwechsel rauschten dann alle als Hippies mit „Flower-Power“ herein und wandelten pflanzend „Helme zu Blumentöpfen“. Diese bittere Diskrepanz unserer Welt zu „Let the sunshine in“ nahm man mit – wie sie Carl Friedrich von Weizsäcker schon in den 1980er Jahren formuliert hatte: „Das Schlimmste ist, dass wir auch die Hoffnung des Protests enttäuscht haben“. Wenn ein Werk von 1967/68 dies über fünfzig Jahre später wachruft, dann wird es zu Recht als Klassiker gefeiert

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(nmz.de)

Premierenkritik zu "Hair": Hippie-Trip ohne pflanzliche Zusätze

„Hair“ ist Kult! Das gilt gerade in München, von wo aus das einst skandalumwitterte Musical anno 1968 auch bei uns seinen Siegeszug antrat. In Luftlinie nicht allzu weit entfernt von der Brienner Straße, wo „Haare“ in seiner ersten deutschen Produktion über die Bühne ging, präsentiert das Gärtnerplatztheater nun in der Reithalle seine Version des Klassikers. Er riss am Premierenabend alte und junge Blumenkinder gleichermaßen von den Stühlen.

Bettina Mönch darf als selbstbewusste Sheila neben ihrem komischen Talent diesmal auch ihre gefühlvolle Seite zeigen und hat mit Dionne Wudu eine weitere Powerfrau zur Seite, während Ruth Fuchs ihrem mit sanfter Stimme umschwärmten „Frank Mills“ wohl ewig hinterhertrauern wird. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Sie alle werden von Choreografin Melissa King über die Bühne gejagt, die Energiekurve wird stets am oberen Anschlag gehalten. King behandelt ihr Ensemble nie als uniforme Masse, betont stattdessen persönliche Stärken und feiert ganz im Geiste des Stückes das Individuum.

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Premierenkritik zu „Hair“: Hippie-Trip ohne pflanzliche Zusätze

Merkur.de

München – In der Reithalle wird „Hair“ aufgeführt – als farbenprächtige, zwerchfellerschütternde und zu Tränen rührende Gärtnerplatz-Produktion. Lesen Sie unsere Premierenkritik.

„Hair“ ist Kult! Das gilt gerade in München, von wo aus das einst skandalumwitterte Musical anno 1968 auch bei uns seinen Siegeszug antrat. In Luftlinie nicht allzu weit entfernt von der Brienner Straße, wo „Haare“ in seiner ersten deutschen Produktion über die Bühne ging, präsentiert das Gärtnerplatztheater nun in der Reithalle seine Version des Klassikers. Er riss am Premierenabend alte und junge Blumenkinder gleichermaßen von den Stühlen.

Dass „Hair“ schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat, weiß auch Regisseur Gil Mehmert. Seine Inszenierung beginnt in einer anonymen Großstadt unserer Tage mit grau gewandeten, hektisch umhereilenden Business-Menschen. Mitten drin zwei übrig gebliebene Alt-Hippies, die das rastlose Treiben mit großen Augen an sich vorüber ziehen lassen. Dann jedoch darf Dagmar Hellberg mit kräftiger Stimme endlich „The Age of Aquarius“ heraufbeschwören und uns durch die Zeit zurück tragen. Das Licht wechselt, die Kostüme werden bunter, ein Hanffeld wächst aus dem Boden, und schon ist man mitten drin im „Hippie Life“.

Mit seinen Ausstattern Jens Kilian (Bühne) und Dagmar Morell (Kostüme) schickt der Regisseur den Zuschauer auf einen farbenprächtigen Trip, der das Lebensgefühl der Sechziger spürbar werden lässt, ohne dabei zur exotischen Kostümschlacht in naiv-nostalgischer Wohlfühlatmosphäre zu werden. Mehmert und sein Team bewahren dem Stück die politische Sprengkraft. Schließlich ging es den Hippies um mehr als um freie Liebe und Bewusstseinserweiterung durch pflanzliche Zusatzstoffe. Natürlich werden auch diese Aspekte reichlich thematisiert, doch bohrt man zu Galt MacDermots zeitlosen Ohrwürmern ebenso genüsslich den Finger in die Wunde und entzaubert manchen amerikanischen Traum. Angefangen von der Mondlandung über eine Miss-Wahl, in der die Feindbilder Russland, Vietnam, Kuba und Korea um die Wette posieren, bis hin zu Todesstrafe oder Südstaatenromantik, die mit einer zwerchfellerschütternden Parodie auf den Klassiker „Vom Winde verweht“ aufs Korn genommen wird.

Immer wieder findet die Inszenierung großartige Bilder, die von einem stimmungsvollen Licht- und Videodesign unterstützt werden. Und wenn etwa zu den Klängen von „Air“ die Agent Orange Wolke herabregnet oder bei „White Boys/ Black Boys“ die rassistischen Hohlköpfe des Ku Klux Klan aufmarschieren, wird auch den später Geborenen die bis heute gültige Botschaft hinter der Musik bewusst. Gekrönt wird dieser vor Energie nur so strotzende Abend von einer durch die Bank großartigen Band- und Ensembleleistung. Jedes einzelne Mitglied des 25-köpfigen „Tribes“ bekommt am Schluss seinen Soloapplaus zugestanden und hat ihn sich verdient. An der Spitze Dominik Hees als charismatischer Hippie-Anführer Berger, der mit markanter Rockröhre seinen Kumpel Claude davon abhalten möchte, in den Vietnamkrieg zu ziehen. Diesem Zweifler verleiht David Jakobs Profil und balanciert dabei gekonnt zwischen Angst und Rebellion.

Bettina Mönch darf als selbstbewusste Sheila neben ihrem komischen Talent diesmal auch ihre gefühlvolle Seite zeigen und hat mit Dionne Wudu eine weitere Powerfrau zur Seite, während Ruth Fuchs ihrem mit sanfter Stimme umschwärmten „Frank Mills“ wohl ewig hinterhertrauern wird. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Sie alle werden von Choreografin Melissa King über die Bühne gejagt, die Energiekurve wird stets am oberen Anschlag gehalten. King behandelt ihr Ensemble nie als uniforme Masse, betont stattdessen persönliche Stärken und feiert ganz im Geiste des Stückes das Individuum. Da darf etwa die schwangere und von Christina Patten mit viel Herz ausgestattete Jeanie auch mal kurz ein paar Frühwehen wegatmen, bevor sie wieder in den Chor ihrer Freunde einstimmt.

Wenn zum beklemmenden Finale nach Claudes sinnlosem Tod Blumen in den Helmen der Gefallenen gepflanzt werden, verdrückt man sogar auf und vor der Bühne die eine oder andere echte Träne, ehe Ensemble und Publikum tanzend und singend lautstark einfordern „Let the Sunshine in“. Sollte vorher jemand daran gezweifelt haben, ob man „Hair“ heute überhaupt noch auf die Bühne bringen muss: Der erschreckend aktuelle Hippie-Klassiker hat noch jede Menge Leben in sich!

Tobias Hell

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(Merkur.de)

Gärtnerplatzttheater Love und Peace wagen! "Hair" in der Reithalle

Rührung und Begeisterung: Der Gärtnerplatz spielt Galt MacDermots Hippie-Musical „Hair“ in der Reithalle.

...die Choreographie von Melissa King mitreißt und das perfekte Ensemble um Dominik Hees (Berger), Bettina Mönch (Sheila), David Jakobs (Claude) wirklich fulminant singt und tanzt.

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Gärtnerplatzttheater Love und Peace wagen! „Hair“ in der Reithalle – Die AZ-Kritik

Robert Braunmüller, 26.02.2016 17:19 Uhr , Abendzeitung

Rührung und Begeisterung: Der Gärtnerplatz spielt Galt MacDermots Hippie-Musical „Hair“ in der Reithalle

Gewiss, ein mit Kollegen der Künstler durchsetztes Premierenpublikum ist leicht entflammbar. Aber es passiert nicht alle Tage, dass die Leute am Ende von den Sitzen springen und bei der Wiederholung von „Let the Sunshine in“ mit den Darstellern auf der Bühne tanzen. Da war „Hair“ ganz bei sich, bei seinen Ursprüngen als Hippie-Happening.

Fast 50 Jahre ist dieses Musical nun alt. Ein paar ergraute Alt-Hippies mit Stirnband waren auch in die Reithalle gekommen. Aber die Nostalgie der letzten überlebenden Langhaarigen zu bedienen, wäre zu wenig. Gil Mehmerts Inszenierung rettet den Geist von „Hair“ in die Gegenwart der Reithalle herüber, ohne irgendwie belehren zu wollen. Die Aufführung ist hervorragend gemachtes Unterhaltungstheater mit durchaus ernsten Untertönen.

„Hair“, das sollte man wissen, hat keine feste Form. Es ist ein Spektakel, eine Sammlung von Songs – postdramatisches Theater vor der Erfindung dieses Begriffs. Die Version des Gärtnerplatztheaters erzählt gerade so viel Handlung wie nötig und macht sie zum Vorwand für so viel Revue wie möglich. Dabei transportiert sie das rauschhafte Lebensgefühl des Aufbruchs am Ende der 1960er Jahre.

Mehmert verschweigt auch die Schattenseiten nicht: Homosexualität finden die Hippies immer noch „bäh“. Die sexuelle Befreiung war vor allem die Sache von Männern, die nicht groß Lust hatten, sich um ihren zufällig gezeugten Nachwuchs zu kümmern.

Woodstock und Vietnam, Tod und „Sunshine“

Und wenn der Einberufungsbefehl nach Vietnam verbrannt werden soll, gibt es einen fatalen Gruppendruck: Da ähnelt das mit dem brennenden Peace-Zeichen verteufelt dem Ritual des Ku-Klux-Klan, den der Regisseur kurz davor mit seinen weißen Kapuzen aufmarschieren lässt.

Der erste Teil der Aufführung ist eine bunte Bilderfolge über das Amerika der Zeit. Jimi Hendrix spielt „The Star-Spangled Banner“. Ein Astronaut landet, Hubschrauber fliegen über Vietnam, eine nackte Frau flieht vor dem Napalm-Angriff.

Die innere Dynamik der Hippie-Gruppe wird nur angerissen, die Nebenfiguren bleiben anfangs ein wenig unscharf. Erwachsene bleiben holzschnitthaft charakterisierte Spießer. Aber das stört nicht wirklich, weil die Choreographie von Melissa King mitreißt und das perfekte Ensemble um Dominik Hees (Berger), Bettina Mönch (Sheila), David Jakobs (Claude) wirklich fulminant singt und tanzt.

Auf der Bühne sitzt eine zehnköpfige Band, die Jeff Frohner in der Uniform von Sgt. Pepper leitet. Links und rechts stehen Scheinwerfer-Türme wie in einem Rockkonzert (Bühne: Jens Kilian). Das passt zur Woodstock-Atmosphäre dieser Aufführung. Und mehr braucht es auch nicht.

Nach der Pause rückt der Vietnam-Krieg stärker ins Blickfeld. Die Hippies ziehen bei einer Friedensdemo blank, um die Polizeigewalt zu entwaffnen – besser lässt sich die bei diesem Musical obligatorische Nacktszene nicht einbauen.
Der Schluss gelingt Mehmert großartig: Claude zieht in den Vietnamkrieg. Wo vorher Marihuana spross, liegt nun ein Reisfeld. Der Ex-Hippie stirbt ohne jede Verklärung – die älteren Herrschaften neben mir hatten da Tränen in den Augen.

Dann folgt mit „Let the Sunshine in“ ein großes menschheitsverbrüderndes Finale: Der Pazifismus und die Toleranz dieser Zeit sind wieder ganz nah. Und so hart und intolerant, wie die Zeiten heute sind, kann uns eine starke Dosis Love & Peace nicht schaden. Diese Botschaft nimmt man aus der Reithalle gern mit nach Hause.

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(Abendzeitung)

Hippie-Gottesdienst zum Mittanzen

Am Donnerstagabend hatte in der Münchner Reithalle eine Neuproduktion des Rockmusicals "Hair" Premiere. Die Neuinszenierung hat für das Gärtnerplatztheater Gil Mehmert übernommen. Peter Jungblut hat das Hippie-Happening miterlebt.

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Kritik – „Hair“ in München

Hippie-Gottesdienst zum Mittanzen

25.02.2016 von Peter Jungblut  BR Klassik

Am Donnerstagabend hatte in der Münchner Reithalle eine Neuproduktion des Rockmusicals „Hair“ Premiere. Die Neuinszenierung hat für das Gärtnerplatztheater Gil Mehmert übernommen. Peter Jungblut hat das Hippie-Happening miterlebt.

Wir leben ja in einer Zeit, in der sich die Leute über eine halbe Stunde Zugverspätung aufregen, die Grenzen dicht machen wollen und den wesentlichen Teil ihrer Freizeit mit Preisvergleichen im Internet verbringen. Kurz und gut: Aggression, Stress und Konsum dominieren die Welt, so gesehen sind die Hippies natürlich gescheitert. Andererseits haben sie uns die freie Liebe beschert und von der Bügelfalte erlöst, was beides nicht zu unterschätzen ist.

Es fliessen Tränen

Gut, lange Bärte sind heute mehr gefragt als lange Haare, aber die Sehnsucht nach der Energie, der Zuversicht, der Ekstase der sechziger Jahre, die ist offenbar geblieben. Jedenfalls war die „Hair“-Premiere gestern Abend in der Münchener Reithalle ein triumphaler Erfolg. Schon zur Pause versprachen sich die begeisterten Zuschauer gegenseitig in die Hand, unbedingt wiederzukommen. Am Ende tanzte das Publikum auch ohne Musicaldarsteller immer weiter, es flossen Tränen, es wurde stehend applaudiert.

Rebellische Lebensfreude

Nicht von ungefähr war der kanadische Komponist Galt MacDermot zunächst Kirchenmusiker, bevor er 1967 „Hair“ vertonte: Es ist ein wahrer „Hippie“-Gottesdienst, zum Mitklatschen, Mitsingen, Mitwippen, Mitglauben. Das Problem daran: Das alles kann furchtbar museal wirken, immerhin liegt die Ära fünfzig Jahre zurück. Umso mehr ist die Regie von Gil Mehmert zu bewundern, der es wirklich schaffte, dem betagten und oft gespielten Erfolgsstück seinen ursprünglichen Elan, seine aufrührerische Kraft und rebellische Lebensfreude zurückzugeben.

Andy Warhol und indische Gurus

Mehmert hatte mit seinem Team eine neue Fassung erstellt, denn „Hair“ war auf der Bühne zunächst ein Stück ganz ohne Dialoge, also eher ein ausgelassenes Love & Peace-Fest. Erst im Hollywood-Film von 1979 wurde das Ganze um eine tragische Handlung ergänzt: Der Soldat Claude muss in den Vietnamkrieg. Im Film opfert sich ein Hippie, der ersatzweise für ihn in den Krieg zieht. So melodramatisch ist die Münchener Fassung nicht, hier kommt Claude selbst zu Tode. Regisseur Mehmert und seine Ausstatter Jens Kilian und Dagmar Morell finden für ihre „Hair“-Interpretation großartige, mitreißende Bilder: In der eigentlich schäbigen und etwas abgelegenen Münchener Reithalle entfaltet sich eine opulente Sechziger-Jahre-Revue. Andy Warhol, Liz Taylor und Jimi Hendrix lassen sich ebenso blicken wie indische Gurus, der Ku-Klux-Klan und die nackten Hintern der Kommune 1.

Gut ausgeleuchtete Nacktszene

Im Oktober 1968, bei der skandalumwitterten Erstaufführung in München, schritten die Behörden ein wegen einer Nacktszene von zwei Sekunden Dauer. Die gestrige war gut ausgeleuchtet und nahm wesentlich mehr Zeit in Anspruch, zumindest das spricht für den Fortschritt. Die Cannabis-Pflanzen wuchsen beeindruckend schnell und das Pferd, das durch diese Plantage galoppierte, war zwar nicht echt, reichte aber für eine nachhaltige Halluzination.

Ein Hoch auf die Hippies

Die Bühnentechnik leistete ganze Arbeit, vor allem das Lichtdesign. Die Tonanlage dagegen blieb durchgängig etwas scheppernd. Die Hymne „Let the sunshine in“ wurde teilweise durchs Megaphon geplärrt, wie auf damaligen Demos üblich: Ein plausibler Regieeinfall, der das Musical endlich wieder als Proteststück kenntlich machte. Die Darsteller waren durchweg absolut glaubwürdig, voller Energie und von geradezu messianischer Lebensfreude beseelt, allen voran Dominik Hees als Hippie-Chef Berger und David Jakobs als angehender Soldat Claude. Die Band unter Leitung von Jeff Frohner thronte auf einem Podium, zeitweise von einer US-Flagge verdeckt. Statt „Hair“, wie sonst oft zu hören, als Retro-Musical runterzuspielen, wagten die Musiker kecke Arrangements und eine zeitgemäße Interpretation. Ein Hoch auf die Hippies und auf diese phänomenale Wiederbelebung von „Hair“.

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(BR Klassik)