Melissa King - Choreografie ][ Regie

WEST SIDE STORY

Staatstheater Nürnberg / D [2019]

Die Idee, Shakespeares „Romeo und Julia“ nach New York zu verlegen und den Konflikt in einen Bandenkrieg zwischen eingewanderten Puertoricanern und selbsternannten Amerikanern zu verwandeln, war sicherlich ein Geniestreich. Ebenso wichtig aber war die Entscheidung, die Geschichte als Musical zu erzählen. Mit der kongenialen Musik von Leonard Bernstein wird die Tragödie ins Hier und Jetzt katapultiert. Sie verdeutlicht, dass diese junge Liebe vielerorts auch heute noch keine Chance hätte. Bernsteins „West Side Story“ ist ein Klassiker; mitreißend, berührend, aktuell.

Media

  • Idee Jerome Robbins
  • Buch Arthur Laurents
  • Musik Leonard Bernstein
  • Gesangstexte Stephen Sondheim
  • Deutsch Frank Tannhäuser, Nico Rabenald

Kreativteam

  • Lutz de Veer [Musikalische Leitung ]
  • Melissa King [Regie und Choreographie]
  • Knut Hetzer [Bühnenbild]
  • Judith Peter [Kostüme]
  • Thomas Schlegel [Licht ]
  • Wiebke Hetmanek [Dramaturgie]
  • Samantha Turton [Choreographic Assistant]

Darsteller

  • Hans Kittelmann
  • Andromahi Raptis
  • Myrthes Monteiro
  • David Boyd
  • Nivaldo Allves
  • Clayton Sia
  • Adrian Hochstrasser
  • Stefan Mosonyi
  • Stephan Zenker
  • Shane Landers
  • Jev Davis
  • Annakathrin Naderer
  • Samantha Turton
  • Nicky Milford
  • Karina Rapley
  • Danilo Brunetti
  • Mariano Manzella
  • Richard Patrocinio
  • David Eisinger
  • Yara Hassan
  • Giulia Fabris
  • Julia Fechter
  • Jochen Kuhl
  • Tobias Link
  • Hans-Peter Frings

Presse

Hispanischer Fandango gegen New Yorker Cool Jazz: West Side Story am Staatstheater Nürnberg

(Es hätte auch eine East Side Story werden können: Leonard Bernstein fand das Projekt faszinierend, den österlichen Konflikt zwischen Juden und Katholiken sowie eine Liebesbeziehung, die tragisch am Konfessionsstreit zweier Familien scheitert, in die Mitte eines neuen Musicals zu stellen. Doch dieser Plot war 1949 bereits Thema eines anderen ansehnlichen Broadway-Erfolgs geworden. So blieb die Idee liegen, und tagesaktuelle Gründe gaben sechs Jahre später den Ausschlag, Shakespeares Romeo und Julia-Stoff vom East River an den Hudson zu verlegen: dort wo sich puerto-ricanische Einwanderer niedergelassen hatten und mit jungen amerikanischen Teenager-Gangs Konflikte aus rassistischen und sozialen Spannungen austrugen. Tony aus New York und Maria aus Puerto Rico sind nun Romeo und Julia. Und um die Verliebten herum prügeln sich die Banden von Jets und Sharks um die Kontrolle über einen Straßenabschnitt.
Im August 1957 kam die West Side Story in Washington heraus, und bereits im September bestand sie bravourös ihre Feuertaufe im Winter Garden Theatre am Broadway, weil Bernstein und seine Textdichter Arthur Laurents und Stephen Sondheim geschickt Bühnendramatik und moderne Musikformen zwischen aggressivem Hard Bop und swingendem Cool Jazz verbunden hatten und die bewegungsreiche Choreographie von Jerome Robbins die Emotionen erlebbar machte. 1972 war das Werk in der Deutschen Erstaufführung der übersetzten Broadway-Fassung bereits in Nürnbergs Opernhaus zu sehen. Jetzt kam das Musical zurück auf die Bühnenbretter des Staatstheaters, in neuer Choreografie und Regie der Amerikanerin Melissa King, die nach einem Studium der Politikwissenschaft an der renommierten Yale University sich ganz auf Tanzrollen in Musicals und Regiearbeiten konzentriert.)
...Schon vor dem ersten Ton geht das Stück bereits los auf der Pausenleinwand des Theaters: auf einer riesigen Fabrikmauer hatten dort bereits Jets und Sharks der Fünfziger Jahre ihre Botschaften hinterlassen, langsam kommen neue Sprüche hinzu, offensichtlich aus sehr gegenwärtiger Auseinandersetzung: „Build that Wall!“ und „Send them back!“, ein ungelenkes Trump-Portrait. Anspielungen solcher Art finden sich immer wieder in Melissa Kings Einrichtung des Musicals, wenn etwa ein großes „MAGA“ die coole Basecap von Lieutenant Schrank ziert: „Make America Great Again!“. Darüber hinaus verzichtet sie auf plumpe Zitate aktueller politischer Konfrontation, überlässt dem Zuschauer die Einordnung von erlebten Migrationsbildern, Fremdenangst und Bandengewalt in beeindruckende wie beklemmende Momente des Bühnengeschehen. Ihre Gangs leben nur in der kleinen Welt eines Straßenabschnitts, ohne Straße wäre die Gang ein Nichts. Das effiziente Bühnenbild (Knut Hetzer) gruppiert diese Enge zwischen einige rostige Wellblechwände, Feuerleitern und Stahlträger eines Mietshauses: Minizimmer und Balkon hoch über der Straße, nach dem blutigen Showdown des Kräftemessens ragen Eisenstreben des verwüsteten World Trade Centers wie eine Assoziation der sinnlosen Spirale aus Hass und Gewalt in die Hinterbühne. Den Zeitbezug lassen auch die Kostüme von Judith Peter offen, deren lässige blau-graue Jogginganzüge oder Hoodies die Kälte-erfahrenen Jets charakterisieren wie Netzhemden, Tattoos und leuchtend rote Shirts die sonnigen Karibik-Erinnerungen der Puerto Ricaner ausdrücken können.
Trotz der verqueren Ghetto-Situation gibt Melissa King der aufkeimenden Liebe zwischen Tony und Maria helle Töne einer Chance, setzt im Liebesduett im Brautmoden-Geschäft ebenso wie bei der strahlend weiß leuchtenden Kulisse des Traumballetts starke Akzente einer Kraft aus Hoffnung und Entschlossenheit. Es ist kaum verwunderlich, dass sie die großen Ballettszenen immer wieder in den Mittelpunkt rückt: Wut, Verzweiflung und Kampfbereitschaft, aber auch Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe beziehen aus der getanzten Ausdrucksform immer eindrücklicher ihre Energie. Das Nürnberger Tanz-Ensemble folgte dieser glühend heißen Stromschiene intensiv, mit unermüdlichem Bewegungsdrang, kämpferischem Impetus, aber auch sportiver Eleganz. Als Gäste des Schauspielhauses hatten auch Jochen Kuhl als Doc sowie Tobias Link als Schrank und Hans-Peter Frings als Officer Krupke eindrucksvolle Szenen.
Die beiden Hauptrollen von Tony und Maria sind mit Hans Kittelmann und Andromahi Raptis optimal besetzt. Ihre intensive Opernerfahrung ließ ihre Soli in den berühmten Ohrwürmer wie „One hand, one heart”, „Maria” oder „Tonight” zu atemberaubenden Momenten klangsinnlichen Gefühlsausdrucks werden, ihr Spiel in perfekter Balance von Kopf, Herz, Beinen und Stimme fügte sich nahtlos in die turbulente Bühnenshow ein. Dass die großen Songs in Englisch, die Dialoge auf Deutsch gegeben wurden, ließ den Handlungsfaden gut verfolgen. Myrthes Monteiro verlieh der Anita eine bewegend körperreiche wie stimmlich feurige Ausstrahlung. David Boyd gelang ein kraftstrotzendes wie empathisch klangvolles Rollenspiel als Jets-Anführer Riff, Nivaldo Allves war ungestüm und behende Chef der Sharks.
Das Orchester, verstärkt an Saxophon, Jazztrompete und Gitarre, liebte hörbar diese polyrhythmische Musik zwischen Blues und Mambo. Von Lutz de Veer, der kürzlich in seinem Così fan tutte-Dirigat viel feingliedrigen Klangsinn gezeigt hatte, wurde es neben verhaltenen Klängen des „Somewhere“ und Fugenartistik in „Cool“ mit sicherem Show-Instinkt zu extrovertiert mitreißendem Spiel angeleitet, bei dem manche Dramatik etwas zu prall aus dem Graben donnerte. Auch wenn am tragischen Schluss – so ganz Musical-untypisch – Leichen Leonard Bernsteins undogmatischen Bühnenklassiker zwischen ernster und Unterhaltungs-Musik pflastern: den Erfolg hatte sich diese neue Nürnberger Produktion mit Bravour erspielt!
- Von Michael Vieth, 03 November 2019

(bachtrack)

Frenetischer Applaus für die „West Side Story“ am Staatstheater Nürnberg Perfekt choreografierte Gewalt

Melissa King kennt sich aus mit Leonard Bernsteins West Side Story...und jetzt überzeugt ihr Klassiker-Konzept auch am Staatstheater Nürnberg: Die Originalfassung wird maßvoll verändert, moderat aktualisiert – aber der Kern des genialen Stücks bleibt. Kein Wunder, denn Hass, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Minderheitenprobleme, Unterschichtenprekariat – das gibt es immer noch, seit 1957 der Klassiker auf die Bühne kam. Dass die Romeo und Julia-Adaption seit Shakespeares Zeiten die packende Wucht einer echten Tragödie hat, bleibt auch bei King unangetastet und wirksam.
Aber die Regisseurin und Choreografin sowie der Nürnberger Dirigent Lutz de Veer, die Staatstheater-Allzweckwaffe in allen Opernsparten, passen den Zweiakter heutigen Seh- und Hörgewohnheiten an: wuchtig, wirbelig und laut. Wahrscheinlich ist sogar das Stimm-Getümmel im Orchestergraben geplant, um im ausverkauften Opernhaus das Herzklopfen anzuheizen – noch bevor der Vorhang aufgeht. Und die Leute buchstabieren, was englisch auf diesem steht: von Heimatlosen, für die angeblich sanft eine Lampe der Hoffnung leuchtet, aber auch die Parolen „Send them back“ und „Build the Wall“. King schubst den modernisierten Bernstein aus den Fünfzigern in die Gegenwart.
...King choreografiert routiniert über alle Probleme hinweg: in einer postindustriellen, schnell und eindrucksvoll wandelbaren Industriebrachen-Bühnenlandschaft (Knut Hetzer) und mit einer muskelbepackten, erotisch knisternden und stets kampfbereiten Tanztruppe für die Jets und Sharks – Musicalspezialisten, die so ein Staatstheater eben nicht hat und die es sich für die vielen Bernstein-Vorstellungen, die folgen, dazugekauft hat. > UWE MITSCHING

(Bayerische Staatszeitung)

...In die eigentlich utopisch-schöne Traumwelt von "Somewhere" brechen Polizisten mit Schutzschilden und Schlagstöcken ein, verprügeln die friedlichen Jugendlichen, im Hintergrund erscheint eine schockierend riesige Liste von Opfern amerikanischer Polizeigewalt. Das bedrückende Gefühl löst sich dann gleich darauf in der wunderbar vulgären Satire "Officer Krupke". Das sind die Höhepunkte dieser Inszenierung.
...Das Ensemble singt und tanzt mitreißend, mit ausdauernder Energie und Tempo, trotz der großen Tanzeinlagen. Andromahi Raptis als Maria und Hans Kittelmann als Tony sind zwei starke Hauptdarsteller. Man hört zwar ihre klassische Ausbildung, doch auch als Musicalsänger machen sie eine gute Figur.
von Henrik Oerding

(BR Klassik)

Der neue Tag Wut, Hass und Musik auf den Straßen

Die „West Side Story“ nimmt weltweite Flüchtlingskrisen in den Blick und übt Kritik an der alltäglichen Respektlosigkeit. Jetzt ist der Musical- Klassiker in Nürnberg zu sehen – und hat einige Updates verpasst bekommen.
(Man mag es nicht glauben: Vor 47 Jahren wurde die „West Side Story“ zuletzt in Nürnberg neu inszeniert. Damit sich das ändert, hat man im Staatstheater eine Regisseurin engagiert, die mit Leo-nard Bernsteins Erfolgsmusical Er- ahrung hat. Die US-Choreographin Melissa King brachte den New Yorker Bandenkrieg bereits in Bad Hersfeld, Bonn, St. Gallen, Linz und sogar im Amphitheater von Epidauros auf die Bühne. Auch die Rolle der Anita, Freundin von Bernardo, dem Anführer der „Sharks“, hat sie schon verkörpert. Beste Voraussetzungen für eine gelungene fränkische Version – und in Nürnberg ist sie bereits ein echter Renner.
Der Rassismus in ihrer Heimat, aber auch die Wut und der Hass, die sich im Internet entladen, sind Gründe für Melissa King, Bernsteins Klassiker in die Moderne zu hieven.
Trump an der Mauer )
Den Auftakt dazu schafft das fantastische Bühnenbild (Knutz Hetzer), eine große Mauer mit Graffitis, Sprüche wie „Send them back“ und „Build that Wall“, daneben das Konterfei von Donald Trump – wenn das keine deutliche Ansage ist: „Wir leben in einer Zeit, in der jeder das Recht hat, andere Menschen mit Respektlosigkeit zu behandeln“, so formuliert es die Regisseurin im Programmheft. Die Kämpfe der beiden Straßengangs, Jets und Sharks, deren Wut und Zorn („Ghetto Rage“), werden in dieser „West Side Story“ ausgeweitet ins Hier und Heute. Eindrücklich geschieht das in den tänzerischen Kampfszenen, die eine Menge Symbolik enthalten: die Tänzer bewegen sich aufeinander zu, angreifend und verteidigend, verkörpern aber auch die Widrigkeiten der Existenz und Auseinandersetzungen mit dem eigenen Selbst.
(Hinzu kommt die Musik, die von der Staatsphilharmonie Nürnberg unter dem Dirigat von Lutz de Veer zu einem farbig schillernden Klang- teppich gewebt wird. Die typische Kombination aus lateinamerikanischen Schlagwerken aufgerüsteter Rhythmusgruppe, variablen Bläsern und einer klassischen Streichersektion überzeugt bis zum Schluss.
Jede Menge Hits )
Trotz aller aktueller Bezüge darf man die Hits dieses Musicals nicht vergessen: Unvergängliche Evergreens wie „Maria“, „Something’s Coming“, „America“, „Tonight“ – sängerisch sind sämtliche Interpreten und Interpretinnen top. Andromahi Raptis und Hans Kittelmann, zwei hauseigene Opern-Darsteller, ergänzen sich in den Hauptrollen von Maria und Tony überaus facettenreich. Insgesamt ergibt sich ein Gesamtkunstwerk aus Aktualität, Aggressivität und Appell: „Ich hoffe, dass das Publikum das Theater verlässt mit dem Wunsch, ein bisschen mitfühlender zu werden. Das wäre schön“, sagt Melissa King.
- Von Günter Kusch

()

Schlachtfeld der verkümmerten Hoffnungen

Die Trümmer von 9/11, zum Mahnmal erstarrt, ragen als riesige Glasscherben zwischen den Kulissenwänden aus rostigen Stahlträgern bedrohlich in die Szene. Auf dem Zwischenvorhang ploppt im knalligen Graffiti-Potpourri der Wahlkampf-Slogan „Built that Wall“ samt orangenem Schöpferbildnis auf. Leonard Bernstein, der politisch denkende Künstler, hätte wohl nichts dagegen gehabt, wenn sein Musical-Welterfolg „West Side Story“ aus dem Jahr 1957 erneut so nah an die Gegenwart heranrückt, dass es sofort schmerzt.
...Der Tanz ist Melissa Kings alles übersprudelnde Energiequelle, man könnte ihn auch das Trafowerk des Unternehmens nennen. Sie schickt die wütenden Jugendbanden der Jets und Sharks, der Eingeborenen und der Eingewanderten, auf ein choreographisch wohlgeordnetes Schlachtfeld der verkümmerten Hoffnungen. Die explosive Gruppendynamik (zwanzig gecastete Tänzerinnen und Tänzer mit hinreichender Gesangs- und Dialogbegabung) sagt in der sehr ausführlichen Eröffnungsszene bereits alles über die vergiftete Stimmungslage, noch ehe dem Drama das knapp gehaltene Wort erteilt wird.
Sopranistin Andromahi Raptis... gibt der Maria alle Gefühlsfarben und viel von dem Liebreiz, den Natalie Wood der Figur einst verpasste. Myrthes Monteiro (Anita) ragt aus dem ansonsten als solides Kollektiv wahrnehmbaren Ensemble heraus.
...Bühnenbildner Knut Hetzer hat wenige Schauplätze gebaut, die seit der Verfilmung ikonenhaften Feuerleitern der Hochhaus-Fassaden durch kunstvoll stilisierte Installationen ersetzt und alles dem leeren Raum zum befreienden Tanz untergeordnet. Das Nest, das er den Einwanderer-Familien hoch droben versteckt zwischen den Gerüsten baute, eine absturzgefährdete Fluchtburg als krasse Variante des berühmten Balkons, ist als Symbol der Blickfang des Szenenentwurfs.
Von Dieter Stoll

(Die deutsche Bühne)

...Zu den Tanz- und Kampfsze- nen ist nicht viel zu sagen, nur so viel: einfach brillant. Geschickt choreographiert, mit Verve um- gesetzt. Bei den puertoricani- schen „Sharks“ mischen laut Programmheft offenbar viele Darsteller mit Wurzeln in La- teinamerika mit, die auch den entsprechenden Akzent drauf- hatten.
...Besonders authentisch gelang Nivaldo Allves sein Bernardo, wozu vor allem dessen Kleidung beitrug. Klug ausgewählt von Judith Peter, die auch Maria (Andromahi Raptis) analog zu ihrer inneren Entwicklung pas- send kostümierte. Raptis und ihr Partner Hans Kittelmann, der den Tony spielte, stammen aus dem Nürnberger Opernensemble, überzeugen aber auch als Musicalsänger. Besonders Kit- telmann beeindruckte mit gut verständlicher Intonation. Be- währte Kräfte wie Jochen Kuhl (Doc) oder Hans-Peter Frings als der fiese Officer Krupke lie- fern erwartbar gute Leistungen. Myrthes Monteiro begeisterte als Anita das Publikum, das des Öfteren Szenenapplaus spendete.
- Von Rudolf Görter

(Fränkischer Tag)

Eine eindringliche lnszenierung im Hier und Jetzt

Dass die 'West Side Story' derzeit ein häufig gesehener Gast auf den Spielplänen ist, mag an der sich wieder verschärfenden Aktualität der Themen Fremdenangst, Rassismus und Polizeigewalt liegen — nicht nur in Amerika, sondern auch hierzulande. Regisseurin Melissa King stellt dabei ihren lokalen Schwerpunkt noch vor Stückbeginn heraus: Graffiti-Projektionen einer Trump-Karikatur oder Slogans wie "build the wall“und "send them back" sind auf dem Theatervorhang zu sehen. Obgleich der Handlungsort in Amerika belassen wird, regt die Inszenierung dennoch dazu an, über diese Grenzen hinaus zu denken.
Nürnbergs 'West Side Story' ist mit ausreichender Schlichtheit kühl und eindringlich gehalten. Die Bühne ist von kalter Beleuchtung und sich wandelnden Gerüsten geprägt, die in kürzester Zeit von einem zum anderen Handlungsschauplatz übergehen: ob Straße, Docs Werkstatt, das Brautmodengeschäft oder Marias Zuhause mitsamt dem obligatorischen ' Julia-Balkon" (Bühnenbild: Knut Hetzer). Bewusst kommt selten so etwas wie eine gemütliche Heime- ligkeit oder auch nur das Gefühl von Sicherheit auf. Die Figuren sind getrieben von Angst und Wut, changieren zwischen Hoffnungslosigkeit und dem Wunsch, etwas zu verändern. Einzig in Freundschaft und Liebe finden sie Trost. Ein Hoffnungsschimmer, der im hervorragend inszenierten Traumballett seinen prägnantesten Ausdruck findet: Alle Figuren, komplett in reines Weiß gekleidet, tanzen beinahe andächtig zum Duett von Maria und Tony. In diesem Moment sind sie alle gleich, egal ob Jets oder Sharks — bis die brutale Realität personifiziert durch schwarz gekleidete Polizeikräfte über sie hereinbricht und die Sehnsucht nach einem friedlicheren Ort auslöscht. Eine Sehnsucht nicht nur von diesen Figuren, sondern auch von lebenden Menschen außerhalb des Bühnengeschehens: Im Hintergrund werden Namen von "stolen lives: killed by U.S. law enforcement" projiziert, die mit rasender Geschwindigkeit zu einer schockierenden Masse ausarten und das flehende "somehow, someday, somewhere" in weite Ferne rücken lassen. Einzig die Kostürne beeinträchtigen die auf die Bühne gebrachte Authentizität. Sie sind zwar modern gehalten, wirken aber zu überzeichnet und klischeehaft, insbesondere die der Sharks (Kostüme:Judith Peter).
Auch die Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung von Lutz de Veer reißt das Publikum mitunter aus der Immersion: Irnmer wieder ertönt die Bernstein'sche Musik zu laut, sodass nicht selten die Darstellenden buchstäblich über den Graben hinweg schreien müssen.
Bis auf wenige Ausnahmen wurden Gäste engagiert, was vermutlich der großen Bedeutung des Tanzes (die Choreografien gelingen King bestens) und der dadurch bedingten künstlerischen Herausforderung geschuldet ist. Daher gebührt der Gesamtheit der verfeindeten Gangs ein großes Lob, darunter Myrthes Monteiro (Anita), Annakathrin Naderer (Anybodys), David Boyd (Riff), Nivaldo Allves (Bernardo) und Clayton Sia (Chino). Maria und Tony wurden dagegen aus dem Ensemble des Staatstheaters Nürnberg besetzt. Andromahi Raptis und Hans Kittelmann können trotz oder gerade wegen ihrer unüberhörbaren klassischen Ausbildung überzeugen, obgleich Raptis übermäßiger Vibrato-Einsatz in reduzierterem Maße wirkungsvoller wäre. Auch Jochen Kuhl (Doc) und Hans-Peter Frings (Officer Krupke) liefern eine solide Leistung ab.
Am Ende blickt man auf eine bewegte und bewegende Inszenierung zurück, die mit konstanter Vehemenz vor den allzu realen Folgen von Rassismus warnt. Es wird nichts beschönigt, was nicht zu beschönigen ist, und trägt doch einen kleinen Funken Hoffnung auf Veränderung in sich — wie die Fackel der Freiheitsstatue, deren eindringliches Gedicht auf dem Sockel zu Beginn des Stückes über dem Theatervorhang prangt, auf dass sich die Diskrepanz zwischen diesem Ideal und der Alltagswirklichkeit irgendwie, irgendwann, irgendwo auflöse.
-von Constanze

(musicals – Das Musicalmagazin)

Umjubeltes Musical

Die politisch aktuelle Inszenierung des Er- folgsmusicals „West Side Story“ sorgte bei der Premiere am Nürn- berger Staatstheater für Riesenapplaus.

(NN)

Die Saat von Hass und Gewalt

Das Premierenpublikum reagierte begeistert auf Melissa Kings politische Inszenierung des Musicals „WEST SIDE STORY“ am Nürnberger Staatstheater.


...die gekonnte, ausgesprochen politische Inszenierung von Melissa King am Nürnberger Staats- theater macht eindrucksvoll deutlich, dass die „West Side Story“ alles andere als kalter Kaffee ist. Die Regisseurin und Choreographin...verlegt die Geschichte aus den fünfziger Jahren in die Gegenwart. Kings Regiekonzept geht weitgehend auf.
...Die wilden Tanz- und Kampfszenen sind Melissa King besonders eindrucksvoll gelungen. Dabei kann sie sich auf ein ebenso sportives wie tänzerisch bestens disponiertes (Gast-) Ensemble verlassen, das vom Street Dance bis zum Mambo alles drauf hat. Mit erstaunlicher Leichtigkeit gelingen die Übergänge von den ener- giegeladenen Massenszenen zu leisen, poetischen Momenten.
...Die Nürnberger Ensemble-Mitglieder Hans Kittelmann und Andromahi Raptis erweisen sich in diesen Musical-Rollen als Idealbesetzung, sängerisch ebenso wie schauspiele- risch. Ihnen gelingen sinnliche, anrührende Liebesszenen
...Das Publikum reagierte mit langem, begeisterten Applaus auf diese packend aktualisierte „West Side Story“, die sicherlich ein Renner wird.
VON STEFFEN RADLMAIER

(Nürnberger Nachrichten)

Im Übrigen besitzen die Kampfszenen eine eigene Ästhetik, die tatsächlich, aber es ist nur scheinbar paradox, sondern eine hohe Kunst, nichts anderes als schön ist, weil nicht nur die „Herren des Ensembles“, sondern auch die dazugehörigen Damen mit größter Vollkommenheit agieren. Hart ist hier nicht nur das grundlegende Intro des Kampfes zwischen den neuen Montagues und Capulets, sondern auch die – wahrlich coole – Nummer namens „Cool“. Und fantastisch hinreissend ist nicht allein der festliche Doppeltanz der Jets und Sharks, in dem so etwas wie eine mögliche Harmonie aufscheint. Chapeau!
was am Premierenabend geleistet wird, ist mehr als normal, wofür die Namen der Interpreten David Boyd (als Riff), Nivaldo Allves (als Bernardo), Adrian Hochstrasser (als Action) und Annakathrin Naderer (als Anybodys, die sich aggressiv und verzweifelt in die Männergang hineinkämpft) stehen mögen – natürlich neben den Jet Girls und den „kleinen“ Jets und Sharks und ihren chicas, aber was heisst bei einem derartig körperlichen und szenischen Einsatz hier „klein“?.

Choreographie heisst hier nicht „nur“ Tanz. Choreographie ist hier ein so sinnfälliges wie ästhetisch schönes Arrangement von brillanten Bewegungsszenen, die mit der von Lutz de Veer dirigierten, meist harten und rhythmisch überaus prägnanten Musik durchwegs d'accord gehen. Voilà: ein Gesamtkunstwerk.
Die Inszenierung hat mit der wunderbaren Andromahi Raptis und dem sensibel spielenden und intonierenden Hans Kittelmann zwei Mitglieder des Opernensembles gefunden, womit sie sich schon stimmlich vom Rest der verfeindeten Lager unterscheiden. Wunderbar die in jedem Sinne weiße Traumsequenz „Somewehre“: kein Hass, keine Schläge, kein Tod
Was aber wäre eine gute, nein: eine sehr gute „West Side Story“ ohne eine Anita wie diese? Myrthes Monteiro ist, in allen ihren Talenten, den tänzerischen und den sängerischen wie den schauspielerischen, schlicht und einfach: überragend.
-Von Frank Pionte

(Opernfreund)